Wenn ich nach meinen Hobbys gefragt werde, antworte ich oft mit „Bahn fahren. Aber nicht freiwillig“. Und so ist es: Ich verbringe sehr viel Zeit in Zügen. Mir ist das schon deutlich lieber als die selben Strecken mit Auto fahren zu müssen. Im Zug kann ich die Augen nochmal zumachen, ich kann etwas lesen oder zum Beispiel diesen Text schreiben.
Aber leider ist mit dem Bahn fahren auch immer wieder Frust verbunden: Verspätungen, Zugausfälle, fehlende Wagen und so weiter. All das führt dazu, dass man kaum noch etwas sicher planen kann. Hat der Zug Verspätung, ist der Anschluss weg, bis zum nächsten Anschluss dauert es und wenn der dann auch noch Verspätung hat… Bei wirklich wichtigen Terminen nimmt man entweder einen Zug mehrere Stunden zu früh oder dann doch gleich das Auto.
Vor 25 Jahren gab es die große Bahnreform in Deutschland: Wenn die Bahn erstmal keine Bundesbehörde mehr sei, dann werde alles besser: Weniger Kosten für die SteuerzahlerInnen, mehr Qualität – so die Versprechen der „Privat-vor-Staat“-PredigerInnen. Mit bekanntem Ergebnis: Das „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ der angeblich so rückständigen Bundesbahn ist heute bei Zugausfällen im Winter und kaputten Klimaanlagen im Sommer zu einem Running Gag geworden.
Der Bundesrechnungshof hat das noch einmal nachgerechnet: Für die SteuerzahlerInnen ist seit der Bahnreform nichts günstiger geworden, die Qualität hat stark abgenommen. Und die Politik stehle sich dort aus der Verantwortung: Obwohl es einen Verfassungsauftrag zum Erhalt und Ausbau der Schienen-Infrastruktur gibt, überlässt der Bund (und konkret: das Bundesverkehrsministerium) die Ausrichtung der Bahn alleine dem Bahn-Vorstand. Und der konzentriert sich nach der Devise der Gewinnmaximierung immer stärker auf das Auslandsgeschäft. Die dort erzielten Gewinne werden sofort im Ausland reinvestiert und der Verfassungsauftrag bleibt liegen.
Wie absurd diese Verkehrspolitik ist, zeigt sich am Vorstoß von Verkehrs-Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU): Die Bahnpreise sollten für KundInnen teurer werden, damit die Bahn die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur tätigen kann. Da macht jemand seinen Job nicht und will dafür die Bahn-KundInnen zahlen lassen. Mit dem Ergebnis, dass so das Zugfahren noch unattraktiver wird.
Es zeigt sich klar: Die Ideologie des immer weiter Privatisierens und der Ausrichtung aller Bereiche des Zusammenlebens nach dem Prinzip Gewinnmaximierung führt zu keinem Fortschritt. Die Zukunft gibt es nicht für lau: Wir brauchen einen aktiven Staat, der in die Zukunft investiert und nicht alles dem Spiel der freien Märkte überlässt.
Und hier kommt Europa ins Spiel: Wir betonen immer wieder den großen Gewinn für alle durch die Reisefreiheit und die Möglichkeit, in der gesamten EU miteinander frei handeln zu können. Warum verbessern wir dann nicht die Voraussetzungen?
Mein Vorschlag: Lasst uns eine europäische Bahn-Gesellschaft gründen. Angesiedelt bei der EU-Kommission und mit einem klaren, vom Europäischen Parlament definierten Auftrag. Bei diesem Auftrag gilt es, auf diese Punkte Wert zu legen:
- Stärkung des europäischen Austausches. Eine europäische Bahn-Gesellschaft kann speziell den Bahnverkehr über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg fördern.
- Stärkung der Verkehrsinfrastruktur. Besonders die Staaten im Süden Europas, die unter einer großen Altschuldenlast leiden (und unter politischen Fehlentscheidungen, aber dazu demnächst mal mehr), schaffen die notwendigen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur nicht. Dabei ist das Vorhandensein einer guten Infrastruktur in allen Teilen der EU auch im Interesse von allen. Deshalb sollte man diese Chance nutzen, und durch eine europäische Bahn-Gesellschaft speziell dort die Infrastruktur verbessern, wo die Nationalstaaten das alleine nicht schaffen.
- Ökologische Vorreiterrolle einnehmen.Die Diskussionen um Energiewende und Diesel-Autos zeigen, dass die Wirtschaft nicht alleine durch das freie Marktgeschehen Innovationen entwickelt, die ökologischen Fortschritt bedeuten. Ohne klare staatliche Bemühungen wird es diesen Fortschritt nicht geben. Deshalb kann auch eine europäische Bahngesellschaft mit klarem Auftrag genutzt werden, um ganz gezielt solche Innovationen zu forcieren.
- Die soziale Dimension mitdenken. Öffentliche Verkehrsmittel haben immer eine soziale Dimension. Gute Mobilität darf kein Privileg für die sein, die sich schon genug Privilegien leisten können. Eine europäische Bahngesellschaft sollte sich dagegen als Chance zur Mobilität für alle sehen.
Der Zug, in dem ich diesen Text geschrieben habe, ist übrigens schon am Start-Bahnhof mit Verspätung losgefahren. Es ist also allerhöchste Eisenbahn, die Verschlechterung des Bahnverkehrs nicht mehr einfach so hinzunehmen, sondern endlich zu handeln!