Was CDU und CSU an Europa falsch verstehen

Nur noch 99 Tage bis zur Europawahl. In diesen Tagen sollte eine Frage dringend geklärt werden, die ich in vielen Gesprächen sehr oft zu hören bekomme: Was unterscheidet die SPD in der Europapolitik eigentlich von der CDU?

Diese Frage zu beantworten ist wichtig, weil die Demokratie von den Unterschieden lebt. Wird Politik zum Einheitsbrei, geht die Vielfalt von Meinungen und Ideen verloren. Guter Streit um die Sache hingegen schafft Raum für neue Ideen und schwächt gleichzeitig die, die glauben mit einfachen Antworten Stimmung machen zu können. Ich will also (trotz des etwas reißerischen Titels) hier nicht CDU und CSU schlecht reden, sondern anhand von deren Positionen die Unterschiede deutlich machen.

Annegret Kramp-Karrenbauer, Markus Söder und Manfred Weber haben einen gemeinsamen Gastartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschrieben. Darin legen sie ein grundsätzliches Bekenntnis für Europa ab. Das ist immerhin ein Fortschritt zu der Anti-Europa-Kampagne der CSU bei der letzten Europa-Wahl. So weit, so gut.

Wenn es aber ans Eingemachte geht, wird es kritischer: „Linke Kräfte“ (damit ist offensichtlich die SPD gemeint) wollten „Europa zu einem Umverteilungs- und Verbotseuropa umbauen“. Das schwäche aber „unsere leistungsfähige Industrie“. Ob mit „unsere“ Deutschland oder Europa gemeint ist, bleibt unklar. Das Gegenmodell des Trios heißt „gerecht und wettbewerbsfähig“. Die Betonung, dass die Wettbewerbsfähigkeit dabei wichtiger als die Gerechtigkeit ist, liest sich deutlich heraus.

Was sie damit sagen wollen, wenn sie gegen „Umverteilung und Verbote“ wettern: Für Wettbewerbsfähigkeit soll sich der Staat gefälligst raushalten und das mit der Gerechtigkeit regelt dann schon der Markt! CDU und CSU vertreten hier genau die Einstellung, die Europa seit 2007 in die Krise getrieben hat.

Deren Modell von Wettbewerbsfähigkeit lautet: Wenn der Wettbewerb härter wird, müssen wir halt die Löhne, die Arbeitsbedingungen und die Sozialleistungen nach unten schrauben. Den Wettbewerb sehen sie dabei offensichtlich auch nicht nur zwischen Europa und dem Rest der Welt, sondern auch zwischen den europäischen Staaten. Anders lässt sich die scharfe Rhetorik gegen eine europäische Arbeitslosenversicherung nicht erklären. Eine solche Versicherung kann ein gutes Instrument zur Krisen-Prävention sein: Wenn in einem Staat die Wirtschaft schwächelt, muss der Staat nicht alle Mittel zur sozialen Absicherung aufwenden, sondern kann damit gegen die drohende Krise ankämpfen. Ein hoch sinnvolles Instrument. Aber CDU und CSU sind dagegen, weil ja Deutschland im Moment niedrige Arbeitslosenzahlen hat. Kurzsichtiger Egoismus für plakative Wahlkampf-Forderungen!

Die SPD hat eine andere Vorstellung davon, wie eine gute Wirtschaft funktioniert: Eine gerechtere Gesellschaft und eine gute Wirtschaft sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Gute Arbeit, gute Löhne und soziale Sicherheit sind das beste Konjunkturprogramm, das sich die Wirtschaft wünschen kann.

Dafür braucht es einen aktiven Staat, der in die Zukunft investiert. Mutige Investitionen führen gleichzeitig zu mehr Gerechtigkeit und zu wirtschaftlichem Fortschritt!

Also: Wenn „Verbotseuropa“ heißt, dass Unternehmen verboten wird, die Veränderungen durch Digitalisierung und Globalisierung zur Ausbeutung ihrer ArbeitnehmerInnen zu nutzen, dann bin ich für ein Verbotseuropa. Und wenn „Umverteilungseuropa“ heißt, dass Standards für gute Arbeit und soziale Sicherheit geschaffen werden, während Konzerne wie Starbucks und Amazon sich nicht mehr vor ihrem gerechten Anteil an Steuern drücken dürfen, dann bin ich für ein Umverteilungseuropa!

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